Wird Suizid bestraft?

Um es gleich zu sagen: die Idee, dass Suizid Sünde ist und dem Sünder eine Strafe droht, haben sich Menschen ausgedacht. Und zwar nicht irgendwelche, sondern Kirchenoberhäupter.

Und das kam so:

In der frühen römisch/katholischen Ära gab es eine Menge von Reformen, mit denen die Kirche und der Staat seine Bürger unter Kontrolle brachte. Darunter wurde auch die Idee verbreitet, dass das Leben zwangsläufig Leiden sei und die Belohnung und das gute Leben im Jenseits warten würden. Gleichzeitig wurden die Menschen immer höher besteuert. Viele schufteten nur noch für Staat und Kirche und konnten ihre Familien kaum noch ernähren. Da das Leben so nicht mehr zu bewältigen war und die Religion sagte, dass im Jenseits die Belohnung für die Mühe warte, begannen Menschen damit Suizid zu begehen. Und es wurden immer mehr. Als man die Folgen Selbsttötungen im Steuersäckel zählen konnte – es fehlte Geld – dachten sich die Kirchenoberhäupter schnell etwas Neues aus: Suizid wurde zur Sünde deklariert; die Belohnung, die im Jenseits warte, würde dem Selbstgetöteten vorenthalten. Statt dessen müsse er in der Hölle brennen. Ziel war es die Zahl der Selbsttötungen zu reduzieren, damit wieder mehr Steuern gezahlt werden.

Die Idee der Sünde hat sich bis heute gehalten und der Selbsttötung Stigma und Tabusiegel verpasst.

Es ist und bleibt aber eine Idee, die sich Menschen ausgedacht haben, um andere Menschen unter Kontrolle zu bringen. Ein Suizid ist dann eine Verfehlung, wenn wir das so festlegen.

Wir könnten uns aber auch auf eine andere Sicht darauf einigen; auf eine, die die Verzweiflung und Erschöpfung des Betroffenen in den Mittelpunkt stellt. Und zwar egal, ob er „es“ gemacht hat, oder nicht.

Ein Suizid ist das Drücken des Reset-Buttons in einem Zustand der totalen Ohnmacht.

Wenn sich ein Mensch immer wieder lange in finsteren Gedanken bewegt, trennt er sich völlig von seinem wirklichen Selbst. Ab da geht es leicht so weit abwärts, dass es auch das berühmte Lichtlein nicht mehr gibt.

Intuitiv wissen wir, dass unsere Auflösung in das Nichts die Erlösung all dieser Qualen sein kann. Das erscheint einem, von sich selbst und vom Leben erschöpften Menschen, leicht als einzige Möglichkeit der Qual ein Ende zu setzen.

Was bilden wir uns ein, es besser zu wissen, als der Verzweifelte, der seine Qualen nicht mehr erträgt?  Bei Menschen, die sterben wollen, weil die Schmerzen ihrer körperlichen Erkrankung unerträglich geworden sind, verstehen wir. Warum reagieren wir mit Ablehnung, Angst, Belehrung und sogar Geringschätzung, auf jemanden, der seelisch, philosophisch und spirituell nicht mehr kann?

Die aktuelle, vulgärpsychologische Begründung für die Ächtung der Selbsttötung lautet: wenn Du Dich umbringst, musst Du im nächsten Leben wieder von vorne anfangen und Deine Aufgaben zuende bringen.

Auf meinem YouTube Kanal findest du viele weiterführende Videos zu den Themen Toxische Beziehung, Geliebte sein und Hochsensibilität.

Das hat den Anstrich, als wäre der, der gehen will, ein Quitter. Jemand, der das Spiel verlässt – vorzeitig. Ein Feigling vielleicht, oder Wegläufer. Wir haben hier alle unsere Aufgabe zu erledigen, keiner kommt hier lebend raus! Ihr kommt auch nicht ungeschoren davon; wehe, Du haust ab. Und lässt mich hier allein! Weichei. Das scheint mir oft der Subtext zusein, wenn über Suizid gesprochen wird; gerne auch mit dem Betroffenen.

Dann wissen plötzlich auch die Verwirrtesten, was hier gespielt wird; dann erhebt sich der Ignorant über den Zweifler.

Wenn das stimmt, dass wir was zuende zu bringen haben, dann gilt das sowieso für uns alle: ob wir versehentlich mit dem Auto gegen die Wand fahren, am grossen Schmerz im Herzen sterben, von der Brücke springen oder mit 97 im Schlaf sterben. Wir müssen unseren Kram irgendwann irgendwo zuende bringen. Oder ein Leben ist eben zu Ende, wenn es zuende ist, ohne Tribunal im Himmel und spirituellen-Rucksack-Mitschleppzwang.

Warum einigen wir uns nicht darauf?

Und wo fängt Selbsttötung überhaupt an? Wenn der Strick um den Hals liegt? Oder, wenn jemand 30 Jahre raucht und wissentlich Lungenkrebs riskiert? Oder, wenn man zersteut Auto fährt und unkonzentriert über die Autobahn heizt? Oder soviel Alkohol trinkt, dass die Leber schlapp macht? Oder, wenn man regelmässig Klettern geht und jedesmal einen Absturz riskiert? Eine Frau, die in einer Gewaltbeziehung feststeckt, es nicht herausschafft und bei jedem Wutausbruch des Mannes ihr Leben riskiert? Oder der nichtkonforme Bürger einer Diktatur, der den Mund aufmacht und sein Leben aufs Spiel setzt? Wo bitte fängt Suizid an?

Ich nicht jeder Tod eine Art Suizid? Genug gelebt, alle Ressourcen erschöpft, einfach durch Leben leben selbst?

Statt Belehrung und Tadel brauchen Menschen, die sich in der Nähe einer Selbsttötung befinden, Mitgefühl. Wenn es irgendetwas geben kann, was sie hier halten kann, ist es Zuwendung. Ich habe mal jemanden sagen hören: „Wenn Du mit jemandem sprichst, der nah dran ist, sich zu töten, sag ihm ruhig, dass Du hilflos bist. Aber sag ihm, dass Du ihn liebst!“

Dieser Mann, der das sagte, war noch am leben, weil es in einer finsteren Zeit in seinem Leben, Menschen gegeben hatte, die genau das getan hatten. Sie waren ehrlich mit ihm gewesen. Und haben ihn geliebt.

Nicht jeden wird man so ins Leben zurücklieben können. Aber wenn es passiert ist, will man dann zurückbleiben mit der Erinnerung daran, dass man diesen verzweifelten Menschen mit Vorhaltungen unter Druck gesetzt hat?

Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass wir es einfach nicht wissen. Solange wir auf der Grundlage unserer menschlichen Konditioniertheit Denken, Fühlen und die Welt sehen, liegt das Erfahren des Todes, der Selbsttötung und dem Danach nicht in unserem Bewusstseinsfeld.

Eine Stigmatisierung und Bestrafungsvermutung der Selbsttötung entbehrt jeder ethischen und moralisch haltbaren Basis.

Einigen wir uns doch darauf, dass man auch per Selbsttötung einfach nur gestorben ist, wie jeder andere auch.

Foto und Beitragsbild:

BJO3RN / photocase.de

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2 Antworten

  1. „Eine Stigmatisierung und Bestrafungsvermutung der Selbsttötung entbehrt jeder ethischen und moralisch haltbaren Basis.“

    Jegliche Vermutung über ein „Danach“ entbehrt einer Grundlage, denn niemand ist bislang zurückgekehrt und hat berichtet, was das „Danach“ wirklich bedeutet. Ist es tatsächlich Leere? Oder ist es das endlose Verharren im Zustand, in dem der Tod eintrat, sprich fortgesetztes Leiden in Ewigkeit? Es gibt eine Theorie, die besagt, dass jeder Mensch nach dem Tode in sein ganz privates Jenseits eintritt. Konkret bedeutet das, dass sich das böse Spiel des Lebens, in seiner eigenen kleinen Hölle zu schmoren, endlos fortsetzt. Was bereits zu Lebzeiten durch Tunnelblick, Schwarz-Weiß-Denken usw. abseits der Wahrnehmung liegt, kommt im Tode nicht plötzlich zum Vorschein. Ein positiver Mensch, der unverbrüchlich an das Gute und singende Engelein glaubt, landet demnach im Himmel bei den Engeln. Und wer ein zerstörter Mensch ist wie ich, der nur noch an Schmerz, Verzweiflung und ewiges Leid glauben kann, landet in der Hölle aus endlosem Schmerz.

    Es sind u.a. diese Gedanken, die mich während meiner vier Suizidversuche innerhalb eines Jahres ängstigten. Die Furcht vor dem Unbekannten kann schreckliche Visionen hervorbringen. Dennoch war ich bereit, mein Leben wegzuwerfen, dem Leid, der Entsagung, der Einsamkeit und den täglichen Demütigungen endlich ein Ende zu bereiten. Und ich bin es noch heute.

    „Einigen wir uns doch darauf, dass man auch per Selbsttötung einfach nur gestorben ist, wie jeder andere auch.“

    Auf gar keinen Fall! Fragen Sie mal im Umkreis von Suizidopfern nach, wie sich die Leute fühlen, welche die Tote kannten, mit ihr verwandt waren. Etliche sind wegen eines Selbstmordes in ihrem Umfeld traumatisiert und müssen sich selbst in psychotherapeutische Behandlung begeben. Das ist bei einem sog. „natürlichen“ Tod etwas vollkommen anderes!
    Ganz zu schweigen von dem Leid derjenigen, die sich das angetan hat. Die grässlichste Verzweiflung, die bittersten Tränen, der schlimmste Schmerz führen zu einem grauenvollen Ende. Meist ist es eben kein schönes Dahinschlummern, sondern ein 90 Sekunden währender Erstickungskampf am Strang, wenn sie das Pech hatte, sich nicht das Genick zu brechen. Oder es sind Wunden, die wie Feuer brennen und nachgeschnitten werden müssen, wenn sie sich die Pulsadern öffnet. Ich weiß, wovon ich schreibe.

    Und was ist mit denen, die ihren Suizid überlebten, weil sie sich wie ich zu dämlich anstellten?
    Ich lernte einen „halbierten Mann“ kennen, der grauenhaft verstümmelt von den Gleisen gekratzt wurde und zum Weiterleben verdammt ist.
    Oder eine querschnittsgelähmte Frau, die aus dem dritten Stock gesprungen war.
    Mein persönliches Motto lautet: „Zu dumm zum Leben und zu dumm zum Sterben“. Durch die vielen Versuche – in erster Linie wegen toxischer Beziehungen – habe ich mich selbst traumatisiert. Als ich nach stundenlanger Ohnmacht in meinem Blut aufwachte, dachte ich, endlich tot zu sein. Es dauerte Monate zu realisieren, den Wahnsinn überlebt zu haben. Noch länger dauerte es, die Spuren des Blutbades zu beseitigen. Meine Abschiedsworte standen noch nach Monaten am Spiegel (wozu jedes Mal neu schreiben?), die durchtränkte Matratze konnte ich erst ein Jahr später filettieren und unauffällig im Hausmüll entsorgen, weil mir die Kraft dazu fehlte und ich niemanden habe, der mir hilft, geschweige denn mich in den Arm nimmt. In den Fliesenfugen unterm Bett sind für immer Blutspuren eingefressen. Und auf dem Dachboden wartet bereits die „endgültige Lösung“ auf mich, vor der ich wahnsinnige Angst habe und mittels stationärer und ambulanter Therapie verzweifelt versuche, einen anderen Ausweg als diesen zu finden. Obgleich ich auf diese Art wie gewünscht in meinen Brautsachen sterben kann, möchte ich lieber in meinem zauberhaften Bett enden und nicht auf dem zugigen Dachboden. Wenigstens ein einziger Wunsch sollte doch im Leben erfüllt werden können.
    Suizid ist akut, wenn die Angst vorm Leben größer als die Angst vorm Tod geworden ist. Und das ist meist nur eine Frage der Zeit …

    Deshalb bitte, bitte ist doch ein Suizid alles andere als zu sterben, wie jede andere auch.

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