Toxische Beziehung – Warum emotionaler Schmerz bindet

emotionaler schmerz

Wer in einer toxischen Beziehung lebt, kennt das: entweder ist es die Hölle oder es ist ungewöhnlich schön. Diese Verbindungen werden irgendwann sauer. Der Leidensdruck wird zu stark; man beginnt Fragen zu stellen, um heraus zu bekommen, wo der Schmerz und das ganze emotionale Chaos herkommen. In diesem Stadium bemerkt man eine Reihe von Faktoren:

  • die Beziehung hat sich, trotz maximaler Bemühungen von meist einer Seite, nicht wirklich verbessert
  • man wird müde von den Ups and Downs, dem Stress und den immergleichen, fruchtlosen Diskussionen
  • die anfänglichen Verlustängste lassen etwas nach, denn man hat begriffen, dass der Partner gar nicht so schnell geht, wie man dachte
  • dennoch belasten einen die Konflikte und Streitsituationen zunehmend mehr
  • es wird aufgrund der nachlassenden Verlustängste einerseits ein bisschen leichter; aufgrund der zunehmenden emotionalen Erschöpfung belasten die Konfliktsituationen jedoch mehr, als anfänglich.
  • die Ambivalenz ist also noch da und lässt sich nicht beseitigen
  • der Schmerz über haltlose Vorwürfe, das Kleinmachen und das offenbar mutwillige Verletzen, wird stärker und die Nerven werden schwächer.
  • in den meisten toxischen Beziehungen gibt es immer noch friedliche Phasen, in manchen verschwindet das völlig.

Das ist die Phase, was ich als „sauer werden“ bezeichne.

Was allen Betroffenen auffällt: auch wenn sie wissen, dass die Beziehung nicht die gesündeste ist, so wundern sie sich darüber, warum sie so „drinhängen“; warum sie so unfrei sind, obwohl die Beziehung oft so wehtut. Warum sie trotz des enormen emotionalen Schmerzes nicht gehen oder das frei entscheiden können.

Um das zu klären, müssen wir uns etwas näher anschauen, wie wir funktionieren.

Auf meinem YouTube Kanal findest du viele weiterführende Videos zu den Themen Toxische Beziehung, Geliebte sein und Hochsensibilität.

Wir alle haben einen mehr oder weniger unbewussten Strom an Denken und Fühlen in uns. Wenn man das einmal genauer beobachtet, dann wird man feststellen, dass jeder noch so kleine Gedanke ein Gefühl erzeugt und jedes Gefühl wiederum färbt den nächsten Gedanken. Das stellt übrigens einen erheblichen Teil der Grundlage für das Unbewusste dar.

Den ganzen Tag also, kommuniziert unser Denken mit dem Fühlen; das Fühlen mit dem Denken und das wiederum steuert unser Verhalten. Wir sind nicht gerade dazu erzogen worden, diesen inneren Dialog wahrzunehmen, sondern wir haben gelernt, unsere Aufmerksamkeit nahezu ausschliesslich ins Aussen zu richten. Oder wir sind in Gedanken verloren, ohne uns dessen bewusst zu sein. Meistens kommen wir erst dann in eine echte Präsenz, wenn irgendwas sehr schmerzhaft oder auch sehr schön ist. Erst dann sind wir „da“ und können uns selbst bewusst wahrnehmen. Den gesamten Weg dorthin haben wir nicht oder halb bewusst mitbekommen. Und das ist das Problem.

Wir fühlen schon sehr niedrigschwellig jeden Gedanken, ohne es zu merken. Fühlen jedoch erzeugt Bindung. Überall dort, wo wir viel gefühlt haben, sehen wir uns gebunden und können schwer loslassen. „Jetzt habe ich emotional so viel investiert, jetzt mache ich auch weiter – oder jetzt kann ich nicht mehr loslassen.“ Auch diese Denkfigur ist vielen nicht bewusst, aber sie existiert. Sie gehört zu unserem auf Schmerzvermeidung und Sicherheit programmierten Survivalsystem und das gehört zur mentalen Hardware. Läuft sie als Programm automatisiert und unbeobachtet, wird jede Situation, in der wir viel fühlen, dazu führen, dass wir schlecht loslassen können. Auch wenn wir wissen, dass wir es eigentlich tun müssten.

Man kann diese Dynamik als Investmentbonding bezeichnen: ich habe investiert, also bin ich gebunden.

Toxische Beziehungen leben von Übertragungen: der toxische Partner fühlt sich selbst oft garnicht oder sehr wenig und verdrängt infolge viel. Die Partnerinnen wissen das fast immer. Das Problem ist, dass Verdrängtes aus dem System verschwinden muss. Man entledigt sich der Last: man überträgt bzw. projiziert es auf andere.

Anders gesagt – man lässt andere fühlen, was man selbst nicht fühlen kann. Eine Frau, die in einer toxischen Beziehung lebt, fühlt zunehmend nicht mehr sich selbst, sondern den anderen: er überträgt seine Schuldgefühle und seinen unerlösten Schmerz auf sie.

Nun kommt die Dynamik des Investmentbonding von zwei Seiten: zum einen fühlt die Partnerin das ganze verdrängte Zeug des Partners und denkt, sie sei das selbst. Das erzeugt Bindung. Und immer, wenn er mit ihr fertig ist, hat sie das Gedankenkarussell: all die Selbstvorwürfe, „Hätte ich anders reagiert, dann wäre die Situation gestern nicht hochgegangen“, „Wäre ich ein bisschen geduldiger, dann wäre er netter zu mir“, „Ich bin ja auch nicht immer einfach“. Man muss nur einmal schauen, welches Feuerwerk an Gefühlen diese Gedanken produzieren!

Und dann kommt die Angst, Schuldgefühl, Scham, Erniedrigung, Schmerz ohne Ende; alles, was das emotionale Horrorkabinett so zu bieten hat. Und eben auch das erzeugt Bindungsgefühl.

Das Bindungsgefühl kommt nicht nur von schönen Gefühlen, sondern auch von den unangenehmen. Es kommt von der Quantität, nicht von der Qualität.

Über die Gründe, warum man eine Anfälligkeit für diese Art von Bindung hat, schreibe ich in einem anderen Artikel mehr. Aber ich will hier schon erwähnen, dass es mit drei Faktoren zu tun hat: mit Sucht, mit Schuldgefühlen und sehr oft mit Hochsensibiltät, denn diese Menschen werden ihrer Fühlfähigkeit wegen von denen gewählt, die sich selber nicht fühlen können.

Durch die genannten Faktoren wird man manipulierbar. Aber eine toxische Situation birgt eben auch die Möglichkeit, sich dessen bewusst zu werden und mit der Reifung und Heilung zu beginnen.

Es kann sich nur ändern, was wir sehen.

Deshalb ist es wichtig in einer solchen Situation sehr genau zu beobachten, was in einem selber vorgeht. Wir müssen den unbewussten Dialog in unserem Denken und Fühlen kennenlernen. Wir können nichts dafür, aber dort ist der Ort unserer immer gleichen Wiederholungen und Dilemmas. Aber eben auch der Ort für Veränderung.

Was in früheren Jahren dem Überleben und der Anpassung an Familie, Kultur und Umgebung diente, kann in späteren Jahren zu einer Lebenshemmung werden. Toxische Beziehungen bringen genau das ans Licht. Damit kann man sehr konstruktiv umgehen; auch, wenn man noch in einer toxischen Beziehung lebt und völlig erschöpft und ohne Vertrauen ist. Es braucht nur eine Entscheidung: „Ja, ich will. Ich weiss noch nicht wie, aber ich werde das finden; ich will an dieser Beziehung wachsen und reifen. Ich will wissen, was das wirklich mit mir zu tun hat.“ Das ist ein Commitment und eine Weichenstellung, das „Wie“ wird das Leben dir zeigen und dir alles geben, damit du weiterkommst. Egal, wie schlecht es dir im Augenblick geht.

Das bringt nicht nur die endgültige Erlösung von diesem Dilemma.

Sondern die Eigenwahrnehmung, die es braucht, um sich selbst bewusster wahrzunehmen, stellt den Kontakt eines Menschen mit sich selbst wieder her. Das ist das, was einem in einer toxischen Beziehung verloren gegangen ist und verhindert, dass man Entscheidungen treffen und wieder in seine Kraft zurückfinden kann.

Aber zunächst ist wichtig, sich dieser Mechanismen klar zu werden; dass das Gedankenkreisen um ihn weitere Bindungsgefühle erzeugt, ohne dass er etwas Konstruktives dafür geleistet hat. Sobald das klar wird, kann man sich über diesen Mechanismus des Investmentbonding hinwegsetzen und sich wieder ein Stück lösen.

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Emotionaler Schmerz bindet, weil man das Gefühl hat, investiert zu haben.

Das wird oft mit Liebe verwechselt, weil man bei dem anderen bleiben will. Es ist eine emotionale Bindung, die zu erheblichen Teilen auf ziemlich chaotischem Fühlen, Angst und Kontrollverlust fusst. Auch das sollte man relativieren, wenn man wieder frei sein will: „Ich habe gedacht, dass das Liebe ist; es fühlt sich manchmal so an, aber ich bin mir nicht sicher.“  So eine Feststellung wird über kurz oder lang dazu führen, dass man die Korrekturen vornehmen kann und herausbekommt, wie es eigentlich wirklich ist. Ausserdem entlässt einen der quälende Gedanke, dass das Liebe ist und man verloren ist, wenn man das aufgibt.

Wenn wir unsere Irrtümer als Irrtümer verbuchen, weil wir es zu gegebener Zeit nicht besser wussten, es aber jetzt besser wissen, ist das kein grosses Ding. Wir müssen das Drama herausnehmen „Das ist die Liebe meines Lebens und ich werde das niiie wieder finden! Ich werde so etwas niie wieder fühlen.“ Solche Gedanken erzeugen wieder nur Schmerz und binden, wo wir eigentlich weg müssten. Ausserdem ist das alles Quatsch; es stimmt nur, wenn wir dafür sorgen, dass es wahr wird. Verständlich, dass man dann Angst hat, die Beziehung zu verlassen.

Also: weg mit den diktatorischen Mantras. Wenn man sie noch nicht ganz aufgeben kann, weil man sich nicht sicher ist, ob sie nicht vielleicht doch stimmen, dann kann man sie infrage stellen und ehrlich auf ihren Wahrheitsgehalt hin untersuchen. Dann sind Korrekturen möglich. Oder man beobachtet ganz genau, welche Gefühle diese Mantras erzeugen: sind es Gefühle, die mich runterziehen und hemmen oder sind es Empfindungen, die sich richtig anfühlen und mich weiterbringen?

Wer sich selbst in dieser Weise wahrnimmt und hinterfragt, wird über kurz oder lang, solchen Mechanismen wie Bindung durch emotionalen Schmerz nicht mehr aufsitzen.

Fotos:

Bild oben: olgaaltunina/Shotshop.com

Bild unten und Beitragsbild: goenz/photocase.de

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Tanja Grundmann

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3 Antworten

  1. Danke für diesen Artikel und Ihre ganze Internetseite. Ich habe schon sehr viel gelesen, aber Ihre Worte sind die ersten, die plötzlich Sinn machen, erklären und zu mir durchdringen.

  2. Liebe Tanja, ich übertreibe nicht wenn ich sage, dass deine Beratungen das Beste sind was mir je passiert ist. Nach jahrzehntelangem seelischen Missbrauch (toxische Beziehungen)und diversen Süchten und pernantem Kämpfen war ich als Hochsensible nur noch ein Wrack und dachte, es gäbe keinen Weg mehr da raus. Dann rief ich dich an und hatte zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl verstanden zu werden. Ich bin dir zutiefst dankbar, dass du mich so einfühlsam durch die dunkle Nacht der Seele begleitet hast und ich endlich Licht am Ende des Tunnels sehen kann. Danke ,dass du immer da warst und mich aufgefangen und ermutigt hast als ich dachte , es geht nicht mehr. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich lebendig. . . und das mit Mitte 50;). Ich bin zwar noch nicht ganz durch aber es kommen immer öfter gute Tage. Tage wo ich in liebevollem Kontakt mit mir bin und nicht mehr gegen mich und das Leben kämpfen muss. Danke, dass du mir gezeigt hast wie ich Vertrauen ins Leben bekommen kann. Bisher ist auch alles eingetroffen wie du gesagt hast obwohl ich nicht mehr dran geglaubt hatte. (Tausend Sterne für dich ;D)))) Keine Therapie hat mir das gebracht was du mir geben konntest. Ich mache weiter so und melde mich auf jeden Fall wieder. Fühl dich gedrückt und hab eine schöne Zeit, Claudia

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Seit 28 Jahren berate ich Menschen in allen Beziehungsfragen. Ich helfe in großen und kleinen Lebenskrisen und habe manchen durch die dunkle Nacht der Seele begleitet. Einen Themenschwerpunkt in meinen Beratungen stellen die toxischen Beziehungen dar: mit einer von mir entwickelten Vorgehensweise habe ich vielen Menschen helfen können, in ihre eigene Kraft zurückzufinden und eine toxische Beziehung verlassen zu können.
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