Emotions-und Beziehungssucht: Die Grundursache jeder Abhängigkeit

Wenn man an Sucht denkt, kommen einem meist als erstes Menschen mit stofflichen Süchten in den Sinn – Alkoholiker, Raucher, Meth-Addicts. Dann fallen einem die Zocker ein, die Kontroll- oder Esssüchtigen und vielleicht noch die Pornosüchtigen. Aber was ist mit dem restlichen abhängigen Verhalten? Tun wir nicht eigentlich sehr viel mehr, um bestimmten Befindlichkeiten aus dem Weg zu gehen? Welchen Inhalten wollen wir nicht begegnen und mit welchem Verhalten weichen wir aus?

Nicht das, was man tut, sagt, ob es eine Sucht ist oder nicht, sondern wie man es tut.

Man kann sehr wohl Alkohol trinken, ausgehen, Dinge tun, einen Film anschauen, sich verlieben oder nachdenken. Aber ob es abhängiges Verhalten ist, zeigt sich daran, ob man es in einem gewissen Zwang tut, oder ob man die Freiheit hat, darüber zu bestimmen. Es zeigt sich daran, ob man wirklich eine Wahl hat, ob man umentscheiden könnte. Viele Menschen erfüllen ihre Träume nicht, weil sie aus diesen „Gewohnheiten“ nicht herauskönnen; weil sie offenbar nicht die Wahl haben, Verhaltensweisen einzustellen oder zu ändern. Man muss sich die Frage stellen: ist es eine Gewohnheit, oder ist es schon abhängiges Verhalten?

Wen es nie aus seiner Sicherheitszone – andere nennen das Komfortzone – herausdrängt, weil er seinen Träumen nachjagen und seine Talente zum Ausdruck bringen will, der entdeckt oft erst dann, dass seine „Gewohnheiten“ eher Zwängen gleichen, wenn er in späteren Jahren unter gesundheitlichen Problemen, dauerhaften Beziehungspleiten oder finanziellen Herausforderungen leidet. Wenn es Sucht war, dann fliegt es einem früher oder später um die Ohren. Ich nenne es an dieser Stelle lieber abhängiges Verhalten. Dann ist es deutlicher.

Beziehungs-und Emotionssucht

Gehen wir zur Klärung einmal näher an ein Phänomen heran, das viele, vor allem, hochempathische Frauen kennen: sie verlieben sich sehr heftig und leiden dann unter einer Beziehung, die eher einer emotionalen Achterbahn gleicht. Auch wenn der Leidensdruck, den solche Beziehungen mit sich bringen, oft enorm ist, so können und wollen sie nicht auf die Hochgefühle verzichten. Diese Menschen sagen oft, dass sie sich in stabilen, ruhigeren Beziehungen langweilen. Das Problem ist nur: die Hochgefühle sind direkt verbunden mit dem unausweichlichen emotionalen Absturz; mit Schmerz, Einsamkeit und Verlustangst.

Das gibt schon einen Hinweis darauf, dass es sich um eine Sucht handeln könnte: erst Rausch und dann der emotionale Hangover. Wie bei stofflichen Süchten auch. Stoffwechselphysiologisch gibt es Parallelen. Wer in so einem Kontext versucht hat, nur das Schöne zu erleben und das Schmerzhafte auszuklammern, der weiß, wie fruchtlos diese Versuche bleiben. Aber, selbst wenn klar ist, dass es wieder wehtun wird, gehen diese Menschen sehenden Auges in die nächste Runde: Erst das rauschhaft Schöne und dann schmerzhafter Abfuck.

Warum tut man das; warum nimmt man immer wieder Schmerz in Kauf?

Weil diese Menschen es nicht lassen können; auch wenn manche das in Koketterie packen und die emotionale Not darin versuchen unsichtbar zu machen; sie haben schlichtweg keine Wahl.

Und zwar, weil es eine Sucht ist: es ist eine Beziehungssucht. Es ist die Sucht nach Emotionen. Nicht nach Spüren, Empfinden und Wahrnehmen, sondern nach großem Gefühlskino, nach sogenannten großen Gefühlen, die näher betrachtet nichts als Schwierigkeiten mit sich bringen und zudem mit der Zeit enorm anstrengend werden. Mancher weiß sogar, dass diese Zeit- und Kapazitäten raubende Lebensweise klein hält; von dem fernhält, was man eigentlich tun will und davon, wie man leben möchte. Und trotzdem schafft man es zunächst nicht, zu Gunsten der wirklich wichtigen Dinge, darauf zu verzichten. Lange Zeit will man es auch nicht. Das Gefühlskino ist einfach zu lecker.

Es ist eine Sucht nach Gefühlen – lieber Schmerz und Verlustangst, als gar nichts. Und immer in der Hoffnung, dass man eines Tages nur noch die großen, schönen Gefühle erlebt. Mancher versucht das ein Leben lang, ohne sich jemals einzugestehen, dass in der Rechnung irgendetwas überhaupt nicht aufgeht.

Wer süchtig nach Gefühlen ist, denkt auch zwanghaft und süchtig. Weil es so normal erscheint dauernd zu denken; weil es jeder tut und wir die Alternative – einen freien Kopf – nur aus so wenigen Situationen kennen. Wir kommen erst gar nicht auf die Idee, dass auch Dauerdenken zwanghaftes und süchtiges Verhalten ist. Wir merken über Jahre nicht, dass der Gedankensalat, der oft von unserem Survivalsystem gesteuert ist, weder nötig noch produktiv ist.

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Es ist nicht unsere Fähigkeit zu denken selbst, die problematisch ist, sondern die unhinterfragte Zwanghaftigkeit, mit der wir das tun.

Jeder Gedanke produziert, von den meisten Menschen unbemerkt, ein Gefühl und jedes Gefühl färbt die nächsten Gedanken. So findet in uns ein konstanter Dialog zwischen Denken und Fühlen statt. Solange das im Unbewussten bleibt, bewegen wir uns innerhalb unserer autonomen Programme. Wir drehen die gleichen Runden, wundern uns, warum wir Dinge nicht einfach ändern können und kommen nicht von unseren alten, bekannten Wiederholungen weg. Unser Survivalsystem schützt uns davor, abseits der engen, aber bewährten Spur zu geraten. Unser Survivalsystem produziert nichts, was nicht in unserem Sinne ist. Es schützt uns vor realen Gefahren, und hat uns zudem als kleine Menschen in Familien, Umfelder und Kulturen eingepasst. So konnten manche von uns anstrengende Eltern und dysfunktionale Familien überleben. Das Survivalsystem funktioniert, wenn es im Unbewussten agiert, ganz oder gar nicht. Deshalb schützt es dann auch vor den unnötigen Risiken von Veränderung – „You ain’t need to fix it, if it’s not broke.“ –  und somit auch vor Reifung, Heilung und Gedeihen. Es ist nicht zum Glücklichsein, sondern zum Überleben gemacht. Das Programm läuft automatisiert und viele Jahre völlig unbewusst.

Was aber, wenn wir uns darüber hinwegsetzen müssen, weil wir Leidensdruck und Reifungsdruck erleben?

Was erzählt uns der Verstand dann? Warum das Ganze eigentlich?

Was erzählt er, wenn ich z.B. hier an dieser Stelle frage: was ist denn, wenn das Gefühlskino vorbei ist? Was ist denn, wenn es abends nicht mehr regelmäßig in die Südstadtkneipe geht; wenn Fußball und Grillabende nicht mehr so wichtig sind? Was ist denn, wenn der Verstand ruhig oder still wird, wie in der Meditation? Warum gibt es so viele Menschen, sie sagen: Meditation – kann ich nicht aushalten, da werde ich verrückt?

Der Verstand, der bei solchen Fragen gerne sofort auf Gefahr und Survival umschaltet, erzählt dann die Geschichte von der Langeweile. Wie langweilig das Leben, ohne das Gefühlskino sein wird. Und dass man nie wieder etwas Schönes erlebt oder empfindet. Und er fühlt sich beleidigt und abgestraft: was? Darf ich das jetzt etwa nicht mehr?! Er beginnt das süchtige Verhalten zu relativieren und die Geschichte von „nur“ zu erzählen, was man ja „nur“ macht und dass das gar nichts bedeute. Und dass alle Alternativen dazu ein kaltes, langweiliges und unerfülltes Leben bedeuten. Darf ich mich jetzt etwa nicht mehr verlieben? Und schon ist man im nächsten Gefühlskino von Anklage und Rechtfertigung, ohne diese Fragen und Antworten alle ausreichend auf ihre Richtigkeit überprüft zu haben. Da das Survivalsystem auch auf Schmerzvermeidung programmiert ist, gönnt man sich dann gerne ein bisschen Rechthaberei und Selbstgefälligkeit; ein bisschen Feindbild und Beschuldigung und schon fühlt man sich wieder etwas gestärkter. Und dann hören wir auf zu forschen und bleiben stehen.

Dort irgendwo bleiben wir oft hängen; lange vor der Beantwortung der Frage, die ich in diesem Artikel stelle. Was ist der Kern, der Grund aller Süchte?

Bei der Langeweile waren wir schon nah dran.

Es ist die Angst vor Leere.

Wir haben eine übernommene, unfassbare Angst vor dem Gefühl der Leere. Wir sind ständig damit beschäftigt, sie zu füllen. Wir stopfen uns voll mit allem Möglichen und wenden uns ab vom Eigentlichen.

Unser Survivalmind interpretiert die Leere als Langeweile und Leblosigkeit; als Absage an Vitalität und Freude. Und das wiederum bedeutet in unseren Denkkonventionen den sicheren Tod und zwar physisch, spirituell, emotional, mental und psychisch. Guess what?

Nichts davon stimmt.

Denn diese Leere ist das, woraus alles entsteht.

Sie ist Ursprung von allem, auch von der Erfüllung unserer Träume und allem, wonach wir uns so sehnen. Sie ist unser Zuhause und Sitz unserer Vitalität und Kreativität. Sie bedeutet nicht den Tod, sondern das Leben und zwar das Leben, wonach wir gesucht haben.

Es wird ruhiger im Kopf; nicht immer aber sehr oft. Und wenn da oben mal ein bisschen Durcheinander tobt, hält man das nicht mehr für die Wahrheit.

Man weiß, dass alles möglich ist und dass das Leben alles kann.

Und die Emotionen? Was weg geht, ist das Gefühlschaos, das dauernde Reagieren, sich ausliefern, versuchen die Kontrolle zurückzugewinnen, sich wieder ausliefern, leiden und so weiter und so fort. Es wird emotional ausgeglichen. Gleichzeitig wird eine Empfindsamkeit spürbar, die mehr aus einer inneren Stimme, aus Empfangen, aus Inspiration und Stille besteht. Man fühlt, aber viel feiner; es kommt gar nicht mehr zu den Situationen, in denen Emotionen so laut werden, weil alles viel früher wahrgenommen und mit Lösungen beantwortet wird.

Auf meinem YouTube Kanal findest du viele weiterführende Videos zu den Themen Toxische Beziehung, Geliebte sein und Hochsensibilität.

Es wird mehr so, wie nach einem schönen Ferientag an der See, wenn man erfüllt und entspannt ist. Wenn man ohne Grund froh ist. Dann kann man auch alles. Das geht nicht im Emotionszirkus und jeder, der bis hier gelesen hat, kennt den Unterschied ganz genau.

Es kommt ein echtes Vertrauen; statt zu hoffen und zu bangen, weiß man. Infolge verschwindet Ungeduld.

Man findet seinen persönlichen Pfad; das wonach man so lange gesucht hat, liegt plötzlich klar vor einem. So, als wäre es nie anders gewesen. Jedes Erfordernis, jeder Bedarf erzeugt seine eigene Erfüllung. Man fühlt, dass alles möglich ist.

Aus der Leere kommt alles, wonach wir so sehr suchen.

Das ist Liebe.

Fotos:

Oberes Bild/Beitragsbild: HorenkO/Shotshop.com

Unteres Bild: kritchanut/Shotshop.com

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Tanja Grundmann

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5 Antworten

  1. Dieser Artikel war wirklich sehr ausdrucksstark für mich und hat mich sehr zum Nachdenken angeregt – ich erkenne mich völlig wieder. Wie oft wünsche ich mir im Unbewussten ein wenig Drama in meinen Beziehungen? Wie werde ich diese Bedürfnisse je los? Wie und wann werde ich endlich aufhören können, mir so viele und tiefgründige Gedanken über meine Beziehungen und Freundschaften zu machen?
    Der Weg ist sicher nicht einfach, aber ich denke, dass wir alle unseren eigenen finden werden.
    Vielen Dank für den unglaublichen Artikel.

  2. Heute abend haben meine Gedanken über die Strukturen in (Liebes)beziehungen in das Feld “Beziehungssucht” getroffen. Ich bin fünfzig Jahre alt, habe viele Therapien hinter mir und viele Seminare im Bereich Selbsterfahrung, doch irgendetwas stimmt nicht und das steht alles in diesem Artikel. Danke für die treffenden, empathischen und sehr klaren Worte! Es ist nicht schön zu wissen, dass ich beziehungssüchtig bin, aber auch eine Erleichterung. Wie so oft im Leben mache ich auch dieses Mal wieder die Erfahrung, dass Selbstdiagnose am besten funktioniert.

  3. ich danke sehr für diese “Aufklärung”, es hat mir die Augen geöffnet, ich bin ein Mensch, der sich immer und immer wieder auf neuen der sein Verhalten eerklären will und ich denke ich werde mit diesem neuen Wissen, besser mit allem umgehen können und versuche mich einfach nur zu lieben, damit kann man auch glücklich werden, man brauch keinen der einen glücklich macht, man muss es erstmal selber sein damit es auch vom Herzen kommt.

  4. Vielen, vielen Dank! Antworten auf Fragen. Erschreckend und gleichzeitig emotional wärmend die erneute Erkenntnis der andere hat tatsächlich gleiches erlebt. Wir ticken alle ähnlich..haben gleiche Schicksale. Ich hoffe das ich irgendwann das Leben Lieben kann. Vielleicht durch verstehen. Vielleicht bringt aber gerade das mich um.

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